Aus: "dran 7/2005" (August 2005)
Autor: Christof Klenk
Web-Site: http://www.dran.de
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Paul Colman in der Scheune
»Urig« aber schön
Urig ist ein viel-strapaziertes Wort und trotzdem
gibt es kaum eine treffendere Beschreibung des Rüggeberger Scheunenfestes.
Schon der Weg dahin! Rüggeberg ist ein Stadtteil von Ennepetal
bekannt durch die Christmas Rock Night.Man fährt also durch
diese Stadt im Ruhrgebiet mit ihren düsteren alten Industriegebäuden,
in denen schon lange nichts mehr gefertigt wird. Dann geht es steil
den Berg hoch. Oben angekommen fährt man eine Straße entlang,
die im Nirgendwo zu enden scheint. Doch dann taucht plötzlich der
Bauernhof auf. Man parkt auf dem Gelände des Hofes. Neben dem Stall
ist schon die Abendkasse. Es riecht nach Gülle und Silo. Auf dem
Hof sind Biertische und Grills aufgebaut. In der leergeräumten
Scheune steht Paul Colman gerade auf der Bühne Soundcheck.
Ein paar Kinder tummeln sich am Rande der Bühne und hoffen auf
ein Autogramm des australischen Sängers. Nach wenigen Minuten ist
der Soundcheck vorbei. Die Kinder werden nicht enttäuscht. Der
Interviewer auch nicht. Doch wo gibt es hier ein ruhiges Plätzchen?
Das Wohnhaus der Bauernfamilie bildet sozusagen den VIP-Bereich. Wir
setzen uns an den Küchentisch und beginnen unser Gespräch.
Paul Colman war mit seinem Trio in Australien so erfolgreich,
dass es keine Steigerungsmöglichkeiten mehr gab. Also ist er mit
seiner Familie und den Bandkollegen in die Staaten gezogen, um den amerikanischen
Markt und damit die Welt zu erobern. Zweimal gewann er den Dove-Award,
für den Grammy war er nominiert. Nun spielt der begnadete Entertainer
und Songwriter ohne Band auf dem Rüggeberger Scheunenfest und gibt
ein Interview in einer Bauernküche. Ein Abstieg?
Ich habe gerade für 32.000 Holländer im Gelredome in
Arnheim gespielt, wo auch schon U2, Madonna, Paul McCartney gespielt
haben. Jetzt spiele ich auf einer Farm in Deutschland. Beides ist für
mich gleich gut, weil es um die gleiche Sache geht: mit Menschen in
Verbindung zu treten. Das liebe ich. Je älter ich werde, desto
mehr wird mir klar, dass es weniger um mich geht, als ich dachte,
versichert er glaubhaft. Es zeugt schon von einer sehr professionellen
Haltung, wenn man den Auftritt in der Scheune mit dem gleichen Enthusiasmus
angeht wie das Konzert beim Megajugendfestival.
Für Paul Colman war diese Haltung nicht immer selbstverständlich.
I gave my heart to the fame, singt er auf dem neuen Album
Let it go. Sein Streben nach Ruhm und Anerkennung ließ
ihn in eine handfeste Lebenskrise schlittern. Ich bin in meinem
Leben an einen Punkt gekommen, wo ich keinen inneren Frieden mehr hatte,
gibt Colman offen zu. Um die Ursache für die innere Unruhe auszumachen,
hat er Menschen in seinem Umfeld gefragt: Was seht ihr in meinem
Leben? Sein Leben sei vor allem geprägt von Furcht, bekam
Colman zur Antwort. Er wolle das Leben ausdrücken wie eine Zitrone,würde
deshalb Leute manipulieren und kontrollieren, Kommunikation häufig
nur betreiben, um etwas zu erreichen.
»Es ist schwer vorstellbar,
dass ein Künstler wie Paul Colman keine Band unterhalten kann«
Er selbst erkannte, dass er Gott häufig ungeduldig vorgeprescht
war, wie Abraham, der mit seiner Sklavin schlief,weil er endlich
die von Gott versprochenen Nachkommen haben wollte. Jesus sagte
aber: ,Wenn ihr euer Leben behalten wollt, werdet ihr es verlieren.
Wenn ihr aber euer Leben verliert um meinetwillen, werdet ihr es finden.
Ich hatte mein Leben verloren. Ich habe damit angefangen, mein Leben
loszulassen und Gott zu vertrauen, erklärt Paul Colman. Sein
neues Album Let it go beschreibt diese Lebenskrise und den
Lernprozess des Sängers.
Es gibt zahlreiche Bewährungsmöglichkeiten: Heute habe
ich diese Schlacht schon mal gewonnen. Beim EO-Jugendfestival hatten
sie mich um zehn Uhr dreißig am Morgen eingeteilt. Die Newsboys
spielten um vier. Eigentlich will man so spät wie möglich
dran sein, weil das bedeutet, dass man größer und besser
ist. Vor einem oder zwei Jahren hätte ich mich noch mit dem Veranstalter
unterhalten und ihn darum gebeten, mich später auf den Plan zu
setzen oder zumindest beim nächsten Mal. Doch dieses Mal
hat er zusammen mit seiner Begleitband aus Deutschland einfach versucht,
ein gutes Konzert zu spielen und wurde dafür belohnt. Weil
nach seinem Auftritt die längste Pause des Tages war, konnte er
die meisten CDs verkaufen. Das ist zwar nicht das Ziel, aber meine
Familie zu versorgen das ist schon ein Ziel.
Dass die neue CD unter dem Thema Loslassen steht,
hat sicherlich auch mit dem Ende des Trios zu tun. Allerdings trauert
er seiner Band nicht nach. Er genießt es vielmehr, dass er mehr
Zeit mit seiner Familie verbringen kann. Jetzt bin ich alleine
und muss mit niemandem teilen. Also kann ich weniger Gigs annehmen und
mehr Geld verdienen. Bei meiner letzten Tour durch die USA bin ich zwischen
Gigs manchmal nach Hause geflogen. Wenn du in einer Band bist, muss
jeder heimfliegen können oder keiner. Ansonsten wird jeder sagen:
Das ist nicht fair!
Seine Karriere hat Paul Colman damit begonnen, allein durch
die Welt zu touren und in Clubs und Konzertsälen zu spielen: ein
Mann und seine Gitarre. In dieser Besetzung gibt er jetzt
auch wieder Konzerte oder er engagiert eine Band vor Ort: Ich
glaube nicht, dass du mit wechselnden Bands so zusammen spielen kannst,
wie mit einer Band, mit der du tausend Konzerte gegeben hast. Man erreicht
auf der Bühne eine gewisse Kameradschaft. Aber wenn du die Beatles
und Paul McCartney anschaust: Paul McCartney allein ist nicht mit den
Beatles gleichzusetzen, aber er ist immer noch cool. Ich will aber damit
nicht sagen, dass ich Paul McCartney bin.
Der Vergleich funktioniert durchaus. Ähnlich wie bei den Liverpoolern
war die Zusammenarbeit beim Paul-Colman-Trio wohl auch nicht immer harmonisch:
Mit einem von den Jungs bin ich sehr gut ausgekommen, mit dem
anderen habe ich ständig diskutiert. Das vermisse ich nicht. Er
lag nicht falsch, er war einfach anders.
Doch das war nicht der Hauptgrund für das Auseinandergehen
der Band. Das Geld reichte einfach nicht. Es ist schwer vorstellbar,
dass ein Künstler wie Paul Colman keine Band unterhalten kann.
Immerhin wurde er in Amerika mit Preisen dekoriert und von der Presse
gefeiert. Dabei ist der christliche amerikanische Markt so riesig, dass
man mit frommen CDs durchaus reich werden kann. Bei Paul Colman klappt
das offenbar nicht: Meine Musik wird möglicherweise nie supererfolgreich
auf dem christlichen amerikanischen Musikmarkt sein. Dort wollen sie
keine Texte, über die sie wirklich nachdenken müssen. Sie
wollen Songs, die sagen: Gott ist heilig, Gott ist großartig,
was für ein großartiges Leben Er sagt das mehr
bedauernd als überheblich. Trotzdem ist ein gewisses Befremden
spürbar. In den USA wird er wohl nie ganz heimisch werden. Ein
Lied auf der neuen CD trägt den Titel Last night in America.
In Australien hat Familie Colman immer noch ein Haus.
Die ersten Jahre in den USA waren hart: Eine Zeitlang
mussten wir von vierhundert Dollar im Monat leben. In diesem Jahr haben
wir in sechzehn verschiedenen Wohnungen und Häusern gelebt. Wenn
Leute in Urlaub gingen, sind wir in ihr Haus gezogen. Ich habe einen
Mann getroffen, der ein Hotel betrieben hat. Er hat uns sechs Monate
in seinem Hotel kostenlos wohnen lassen in einem Raum. Und wir
hatten damals schon ein Baby! Sehnt man sich da nicht nach einem
normalen Job mit regelmäßigem Einkommen? Immerhin
war Paul Colman einmal Lehrer. Nein. Lehrer ist ein guter Job,
aber man macht fünf Aufführungen am Tag für ein Publikum,
das einen nicht mag. Ich mache eine Aufführung pro Abend für
ein Publikum, das mich mag.
Alleine schafft es Colman besser, das Einkommen der Familie
zu sichern, auch wenn dabei kein RocknRoll-Lifestyle mit
Pool, Chauffeur und Hotelsuite herausspringt. Seine neu gewonnene Flexibilität
erlaubt es ihm jedenfalls, einen Gig auf dem Rüggeberger Scheunenfest
einzuschieben. Die Rüggeberger quittieren das mit viel Beifall
und auch dem Besitzer der Scheune hats gefallen: So gut
war die Musik in meiner Scheune noch nie, meint der Bauer am Ende
des Abends.
--Christof Klenk
Christof Klenk ist Redakteur beim Bundes-Verlag und unterhielt sich
mit Paul Colman in der Küche der Bäuerin, deren Scheune für
das Rüggeberger Scheunenfest leergeräumt wurde und
deren Küche als VIP-Lounge diente. ««